Standing Ovations - Philharmonie begeistert das Publikum mit Schubert und Tschaikowsky  (Foto: Hubert Richter)(bro) (khm) Am vergangenen Samstag, 1. April, wurden in der Eberbacher Stadthalle durch die Junge Kammerphilharmonie Rhein-Neckar unter Leitung von Thomas Kalb aufgeführt in Streichorchesterfassung das Quartett d-Moll D 810 op. posth. (1824/25) von Franz Schubert (11797-1828), eher unter dem Beinamen âDer Tod und das MĂ€dchenâ bekannt, und Peter Tschaikowskys Sextett d-Moll op. 70 (1890/92), "Souvenir de Florence" benannt.
Mit mehrfachem Preisgewinn bei Wettbewerben kann sich die ausführende Junge Kammerphilharmonie zu den besten nicht-professionellen Kammerorchestern Deutschlands zĂ€hlen. Gegründet 2002 in Heidelberg, wurde es 2008 als Junge Kammerphilharmonie Rhein-Neckar selbststĂ€ndig und setzt sich aus fortgeschrittenen Musikschülern, Studierenden und jungen BerufstĂ€tigen aus der Rhein-Neckar-Region und ganz Deutschland zusammen. Seit 2007 wird das Orchester geleitet von Thomas Kalb, ehemals Generalmusikdirektor des Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg, der angesichts des offenbar teilweise "English-spoken-Publikums" hier zweisprachig begrüĂte und ebenso seine Einleitungen machte.
Der Publikumsmagnet des Konzert war zweifellos das vierzehnte und vorletzte Quartett Franz Schuberts "Der Tod und das MĂ€dchen" in Streichorchesterfassung. Interessant bleibt dazu zu erwĂ€hnen, dass kein geringerer als Gustav Mahler (1860-1911) das damals schon populĂ€re Schubertsche Streichquartett für Streichorchester einrichtete, um es für gröĂere KonzertsĂ€le geeigneter zu machen, also "moderner, demokratischer", durch die Wiedergabe in groĂem Konzertsaal im Gegensatz zu einer im intimen Kammermusiksaal. Er hatte nach einem Kammermusikkonzert mit letzten Beethoven-Quartette gemeint, es sei "eine gewagte und willkürliche Sache", weil bei diesen Kompositionen "lĂ€ngst nicht mehr an die vier armseligen MĂ€nnlein des Strichquartetts gedacht sei" und sie "schon der Konzeption nach ganz andere Dimensionen" hĂ€tten und "ein kleines Streichorchester" verlangten" (M. Hennerfeind). Er schrieb zu seinen Bearbeitungen (Schubert und Beethoven op. 95): "Im groĂen Raum verlieren sich die vier Stimmen, sie sprechen nicht mit der Kraft zu den Hörern, die der Komponist ihnen geben wollte. Ich gebe ihnen diese Kraft, indem ich die Stimmen verstĂ€rke ... löse die Expansion, die in den Stimmen schlummert, aus" (Gerald Felber). Angesichts der nicht ausgebliebenen Kritik, ob "der Sprung vom filigranen Kammermusiksatz zum raumfüllenden Orchesterklang" gelingen könne und überhaupt wünschenswert sei. Angesichts der heutigen akustischen Möglichkeiten dürften die Mahlerschen Ansichten heute zurückhaltender betrachtet werden, und man möchte vielleicht doch eher auf die nicht zu überbietenden Originale zurückgreifen. Andererseits sind Kammerorchester immer auf Suche nach gut arrangierten Werken, und von dieser Seite her wird auch betont, dass bei im Wesentlichen meist wenig verĂ€ndertem Notenmaterial einer "Bearbeitung" der Unterschied des Klangeindrucks im VerhĂ€ltnis zum Original erheblich sein kann und auch gefĂ€llig ankommt. "Die feinen FĂ€den und Windungen der Einzelstimmen verbinden sich im Orchestersatz zu Tauen, entfalten sich zu KlangflĂ€chen und vervielfĂ€ltigen sich zu einem wahrhaft sinnlichen Meer" (G. Albrecht, Schubert-Mahler, CD-Einleitung). Bei Schubert verwendet Mahler - wie alle spĂ€teren Bearbeiter so auch hier - zusĂ€tzlich an ihm wichtigen Stellen eine das Klangvolumen verstĂ€rkende Kontrabass-Stimme, der wichtigste Eingriff, auf deren Fundament von tiefen Tönen etwa relevanter Cello-Klang sich besser profilieren und damit hervortreten könne. Bei solcher Einspielung von Bearbeitungen "klingen diese dann in ihrer Fülle weicher als viele Streichquartettaufnahmen, ja man könnte behaupten, dass sie in gewisser Weise leichter anzuhören sind".
Und so wurde das orchestriert aufgeführte Schubert-Quartett auch hier zu einem Klangerlebnis besonderer Art. Die bestimmenden Motive des ersten Satzes sind ein wuchtiges, geradezu sinfonisches Triolenmotiv, an Beethovens fünfte Sinfonie (c-Moll, Schicksalssinfonie) erinnernd, falls der Beiname richtig gedeutet ist, und dann eine wohlklingende Melodie mit überleitenden Triolen. Sie wurden prĂ€zis vorgestellt, um im weiteren Verlauf in der besonderen Kontrapunktik Schuberts wichtig zu werden. Anders nĂ€mlich als bei der âkanonartigenâ Fugengestaltung des Barock und Klassik schichtet Schubert verschiedene Themen in der Satzdurchführung oft übereinander. Wenn dann die Gesamtstruktur und die einzelnen Motive harmonisch und deutlich erklingen, ist das bewundernswerte Ensemblekunst und konnte hier auch erlebt werden. Der den Namen âTod und das MĂ€dchenâ gebende zweite Satz ist das Andante con moto mit fünf (Figural)variationen über einem melodisch gleichbleibenden Thema, das ein Selbstzitat ist, nĂ€mlich Schuberts eigene Melodie (1817) zu Matthias Claudiusâ dialogischem Gedicht âDer Tod und das MĂ€dchenâ. Hier war schon die Themenvorstellung mit einer ruhigen Binnendifferenzierung (pianissimo, forte, crescendi) ansprechend. Die tonvollen, unaffektierten, makellos ausgeführten Variationen, dem jeweiligen Charakter von Verhaltenheit bzw. Erregung (3., 5. Variation) angepasst, verliehen dem Satz die unvergleichliche Schubertsche Klangschönheit und Eindrücklichkeit, wobei die virtuos und klangrein gespielten Variationsumspielungen der Primgeigerin (4., 5. Var.), die wohllautende, ausdrucksvolle Cello-KantabilitĂ€t (2. Variation mit anspruchsvollen Stellen in Tenor- und Violinschlüssel) und die Violinen II und die Bratschen mit einfühlsam bewirkten Zwischenharmonien und gelegentlichem solistischem Auftritt besonders erwĂ€hnt seien. AuffĂ€llig war hier, dass die damit verbundene besetzungsmĂ€Ăige Reduzierung als besonders eindrucksvoll sich erwies.
Stürmisch musizierten die Musiker das knappe Scherzo mit seinen widerborstigen Synkopen und dazu - wiederum ein Glanzstück besonders für die erste Geigerin - das schwelgerische Trio, "einen seligen D-Dur-Reigen", in dem man bei programmatischer und problematischer Interpretation schon den verführerisch fiedelnden Tod erkennen wollte (Alfred HeuĂ), wĂ€hrend der Tod im Scherzo selbst seine Opfer hetze. Das Finale im Tarantella-Rhythmus wurde mit Schwung, Brillanz und orchestraler Wucht ausgeführt besonders im zweimal auftretenden, choralartigen Con forza-Seitenthema, das wie eine breite Siegeshymne gespielt war, die sich der Achtelflut entgegenstellte. Der jagende 6/8-Takt wurde über die etwa 754 Takte dieses Satzes hinweg unermüdlich konzentriert durchgehalten bis zu einer Prestissimo-Coda, wobei dieses Finale ca. 50 Takte lĂ€nger ist als die SĂ€tze eins bis drei zusammen mit ihren zusammen 677 Takten und das angesichts einer Werkgesamtzahl von 1431 Takten (ohne Wiederholungen). So neigte sich das Werk von ca. 35 Minuten Dauer - wie von allen Bearbeitern wohl auch gewünscht - entschieden hin zum Orchesterklang und stellenweise auch zum Violin- und Cellokonzert, was gefiel, wie der Zwischenbeifall auch deutlich bezeugte.
Eine Frage sollte noch angeschnitten sein, ob das gattungsmĂ€Ăig zur absoluten Musik gehörige Werk - sei es nun kammermusikalisch oder orchestral dargeboten - , das auch ohne âauĂermusikalische VerstĂ€ndnis-hilfenâ in jeder Hinsicht ein Meisterwerk ist, infolge seines auch die PopularitĂ€t fördernden Beinamens einseitig als Programmmusik gedeutet und interpretiert werden darf â in der Tradition des einst viel gelesenen Musikschriftstellers Alfred HeuĂ (1877-1934), für den das Quartett ein "komponierter Totentanz" war, obwohl es von Schubert keine Bemerkung gibt, dass er eine "Programmmusik" habe schreiben wollen. Zum Quartett findet sich nur die Notiz (Brief MĂ€rz 1824): ââŠich componirte 2 Quartetten ... und ein Octett, und will noch ein Quartetto schreiben, überhaupt will ich mir auf diese Weise den Weg zur groĂen Sinfonie bahnenâ. Das Werk ist so vielschichtig, dass es nicht darauf verengt werden sollte, den Gegensatz von lockendem Tod und sich aufbĂ€umendem, dann resignierendem Lebenswillen 1431 Takte lang musikalisch ausdrücken zu wollen, was noch nicht einmal Thema des ganzen zweiten Satzes (zu 172 Takten) sein dürfte. Angesichts seiner ganzen Vielfalt von MajestĂ€tischem und Traurig-Resignativem, von Derbem und Burschikos-TĂ€nzerischem, von Hei-ter-Verspieltem und Düster-Pathetischem, von Zart-Lyrischem und HinreiĂend-Dynamischem, das die Interpreten doch gern und gut zu vermitteln wussten, sollte man auĂermusikalische Bezüge weitgehend beiseitelassen. Das d-Moll-Quartett Schuberts hat in jeder Fassung seine GröĂe durch sich selbst.
Peter Iljitsch Tschaikowsky (1840 - 1893) betĂ€tigte sich meisterlich auf fast allen Gebieten der Komposition, hinterlieĂ rund 90 Werke, darunter vor allem Ballette (wie Schwanensee, Nussknacker), sechs Sinfonien, Instrumentalkonzerte, neun Opern, Programmmusiken zu Schauspielen, allerdings wenig, aber beachtenswerte Kammermusik wie z. B das groĂe a-Moll-Klaviertrio, das erste seiner drei Streichquartette mit dem populĂ€ren "Andante cantabile", und das hier in orchestrierter Form gehörte Streichsextett "Souvenir de Florence", originĂ€r für je 2 Violinen, Violen und Violoncelli, op. 70 in d-Moll (1890/92), eines seiner letzten Kammermusikwerke, wenige Jahre vor seinem Tod 1893 entstanden. Es war seiner langjĂ€hrigen Gönnerin Nadeshda von Meck gewidmet, die im Gegensatz zu ihm Kammermusik besonders schĂ€tzte. Ihr sollte so Gelegenheit gegeben sein, eine gröĂere Kammermusik in den eigenen vier WĂ€nden zu hören, da sie KonzertsĂ€le mied. Ob sie mit einer Bearbeitung einverstanden gewesen wĂ€re?
Obwohl das Werk nun für Hörer wie auch Ausführende alle Bedingungen für PopularitĂ€t wie eingĂ€ngige Melodik, fesselnde Rhythmik und kunstvolle Durcharbeitung (im Finale sogar in eine Doppelfuge) reichlich erfüllt, wird es dennoch eher selten aufgeführt, da sich eben "selten zwei gleichwertige Partner (Viola ,Cello) finden möchten, die ein eingespieltes Quartett (zwei Violinen, Viola und Cello) zu einem Sechser-Ensemble ergĂ€nzen könnten (A. Werner-Jensen), und so vermieden in der Tat die Komponisten eher das Schreiben von Sextetten. Umso mehr erstaunt, dass das Sextett offenbar schon in vielen unterschiedlichen Adaptionen für Streicherorchester aufgeführt wird mit verĂ€nderlicher Anzahl an Musikern für jede Stimme mit oder ohne Kontrabass und mit einigen Solopartien. Und obwohl die Meinungen darin auseinander gehen, ob âSouvenir de Florence" eher eigentlich kammermusikalisch oder bereits orchestral sei, erwies sich das Werk in beiden Formaten stets als sehr beliebt und erfolgreich, was die hiesige orchestrierte Aufführung unter der kompetenten Leitung von Thomas Kalbwohl wieder bestĂ€tigte.
Das âSouvenir de Florence", in klassischer Form mit "Sonatensatz - langsamem Satz - Scherzo/Trio - finalem Rondo" komponiert, etwa 35 Minuten dauernd, entstand 1890 wĂ€hrend eines dreimonatigen Aufenthalts bei schönem Sommerwetter In Florenz. Daher - meint man - wohl auch sein im Grunde lebensfroher Charakter. Damals entstand noch vor diesem Sextett die Oper "Pique Dame". Wieder in Russland, stellte Tschaikowsky das Sextett 1892 fertig, das seine dankbare Bewunderung für die Stadt ausdrücken sollte.
Der erste Satz Allegro con spirito (d-Moll, 769 Takte im Original) beeindruckte gleich damit, wie stürmisch und doch tĂ€nzerisch der ohnehin schon recht orchestral klingende Satz eröffnet wurde. Sich weit ausbreitend, mündete der Satzverlauf über einem stĂ€ndigen kleinen Bewegungsmotiv in das sehnsüchtig erklingende, singende, einprĂ€gsame Seitenthema. Als typischer Satz in Sonatensatzform war seine gediegen kontrapunktische Durchführung unüberhörbar und führte nach thematischer Wiederholung beeindruckend zu einer sich abgestuft beschleunigten Coda/Schlussabschnitt.
Im dreiteiligen langsamen Satz Adagio cantabile e con moto (D-Dur, 204 T.) schufen die Musiker italienische Serenadenstimmung. Nach der Eröffnung mit einem zwölftaktigen musikalischen Vorhang hörte man klangschön gespielte Violin-Cello-Bratschen-Soli und -duette mit "dolce"- Markierung. Als Begleitung dazu leises, triolisches Pizzicato/Zupfen der Unterstimmen Ă la Gitarre. Eine eingeschobene, gespenstischen Tremolo-Passage unterbrach zwar kontrastierend den Serenadencharakter, der dann wieder auflebte mit zunĂ€chst lebhafterer Sechzehntelbegleitung, was die aufgekommene tonale Zwielichtigkeit wohl aufheben sollte. Jedenfalls wurde dieses Adagio-StĂ€ndchen oder gar Gondellied/Barcarole auch hier seines Rufs beim Publikum als eines besonders schönen Satzes wieder gerecht. An dritter Stelle stehend, vertritt das dreiteilige Allegr(ett)o moderato (a-Moll, 260 T. in 2/4) das an solcher Stelle übliche "Scherzo mit Trio. Das Allegro moderato gab sich melancholisch und in gemĂ€Ăigtem Tempo im beginnenden Teil (A) und steigerte sich affektisch, was man schon als deutlichen russischen Einschlag betrachtet hat. Das Trio, der Mittelteil des Satzes (B), hob sich ab durch rascheren Verlauf mit kleineren Notenwerten. Mitte (B) und Schlussteil (A) verbanden sich dann kunstvoll und gut hörbar zum Abschluss mit ihren verschiedenen Rhythmen. Das brillante Allegro vivace (d-Moll, Schluss D-Dur), 480 T), fast so lang wie 2. und 3. Satz zusammen, wurde in der Kammermusikliteratur oft als eher orchestrales Klangstück ver- und beurteilt. Der Hörer erlebte hier den Satz in seiner lebhaften Steigerung, seiner ff-fff-Wucht, seiner sich steigernden Schlussbeschleunigung und mit einer eingebauten groĂen Doppelfuge, die der Komponist als eine Meisterleistung betrachtete, und die das Orchester gekonnt vorführte wie auch die anderen verschiedenen kontrapunktischen Themenkombinationen im Satz. Auch melodisch wurde das Publikum vom Orchester verwöhnt, wenn etwa dieses Finale nach kurzer Einleitung mit einem lebhaften Tanzlied begann, das aus der russischen Folklore stammen könnte und das den ganzen Satz prĂ€gte. Von ihm setzte das Orchester wohltuend das Seitenthema ab, eine der singbarsten und liebenswürdigsten Melodien des Komponisten, und lieĂ es der Masse von Achteln sich kraftvoll entgegenstellen. Vermerkt wurden im Satz die hĂ€ufigen fff- und ffff-Stellen, die den Ohrenschmaus einiger Hörer beeintrĂ€chtigt haben dürften. Dieses so eindrucksvoll komponierte und vom Orchester hinreiĂend dargebotene Finale musste auch in seiner orchestrierten Form oder gar gerade auch deshalb unausweichlich zum "kolossalen Beifall" und zu "Standing Ovation" führen. Dies konnte nur die Erahnung von Zugaben zu Ende bringen, mit denen dann Thomas Kalb und das Orchester sich bedankten. Es waren âhits" von George Gershwin (1898-1937) wie âSummertime", Arie aus der Oper Porgy and Bess (1934) und âI got Rhythm - Ich habe Rhythmus (ins Blut) bekommen", eine berühmte Jazz-Melodie, entwickelt aus dem Musical Crazy for You (1930).
Einen kurzen Videoausschnitt gibt es auf unserer Facebook-Seite (Link s.u.).
Infos im Internet: www.facebook.com/reel/1018874882408696/
03.04.23
|