Weitermachen, auch wenn es nicht mehr geht (Foto: Thomas Wilken)(tom) Mit der Verpflichtung von Christoph Sieber ist dem Arbeitskreis Stadtkultur in Oberzent ein GlĂŒcksgriff gelungen. Ăber zwei Stunden lang begeisterte einer der bekanntesten deutschen Kabarettisten gestern Abend seine Fans in der Alten Turnhalle.
âWeitermachen!â riet der Comedian den Besuchern, wenn die ganze Welt um sie herum zu zerfallen droht. Denn besser wird es sowieso nicht mehr. Das war es aber frĂŒher, ohne Internet. Das ist sowieso sein Thema Nummer 1. Ohne das weltweite Netz war alles besser, gab sich Sieber den Erinnerungen an die gute alte Zeit hin.
330 GÀste in der dicht bestuhlten Turnhalle folgten ihm in diesem seligen Ausflug in die nÀhere Vergangenheit bereitwillig. Nicht nur einmal war ein Nicken zu sehen, eine gemurmelte Zustimmung, ein herzhaftes Lachen, wenn sich der 54-JÀhrige Wahl-Kölner genussvoll dem Gegenwarts-Bashing hingab.
Mit einigem Stolz gab er zum Besten, dass eine frĂŒhere Idee von ihm inzwischen tatsĂ€chlich in der RealitĂ€t angelangt sei: eine in den Boden eingelassene Ampel, damit Handynutzer beim Ăberqueren der StraĂe nicht mehr nach oben schauen mĂŒssen.
Der gebĂŒrtige Schwabe verleugnete bei alldem seine Herkunft nicht. Er sang ein Loblied ĂŒber die DigitalisierungsbemĂŒhungen der BĂ€ckerei HĂ€berle (âder Weck ist das Zielâ). Das ging dann aber eher in die Richtung der Lobpreisung all der systemrelevanten Berufe wie Handwerker, LehrkrĂ€fte oder Landwirte, die den Laden am Laufen halten. Aber die im Dunkeln sieht man eben nicht. âKein Respekt mehr vor der Arbeitâ, lautete seine Klage.
Sieber vermag es gekonnt, seinen Mitmenschen den Spiegel vorzuhalten. Dabei darf er sich dann ab und zu auch eine kleine Spitze in Richtung Publikum erlauben, die er gekonnt mit viel Selbstironie wieder einfĂ€ngt. Seine Kritik an der heutigen Gesellschaft verpackt er in einen groĂen Wortschwall. Seine vielschichtigen Klagen laufen aber auf die Dauer immer aufs Gleiche raus: FrĂŒher war alles besser.
Etwa der gesunde Menschenverstand, mit dem heutzutage Schindluder getrieben wird. Er entschuldigte sich beim debilen Schimpansen, der fĂŒr manchen Vergleich herhalten muss, aber wohl manches eher besser machen wird. Und stellte fest, dass oft nicht die Klugheit fehlt, sondern die Empathie.
Eine ganz arme Sau ist dabei das Hirn, das in einer dunklen Höhle seekrank vor sich hinwabert. Und alles von anderen erfahren muss. Mit dem Ergebnis, dass es nicht alles glaubt, was ihm angeliefert wird. Das machte der Kabarettist plastisch deutlich an der Meldung eines entlaufenen Löwen. Der glaubt das Gehirn erst, wenn die Hosen schon voll sind.
Das allerschlimmste fĂŒr den Menschen ist, wenn ihm etwas weggenommen wird, verdeutlichte Sieber am Beispiel der Ălheizung. Als ob vorher jede Woche mit der gekuschelt wurde, mokierte er sich ĂŒber die Aufregung nach dem Heizungsgesetz. Bei allem verzapften Unfug unternahm der Moderator der Mitternachtsspitzen ab und zu auch einen Ausflug ins Ernste - in die Politik.
Ganz deutlich wurde in der Turnhalle, was er vom amerikanischen PrĂ€sidentschaftskandidaten hĂ€lt. Auch sonst ist seine Aversion gegen Populisten egal in welchem Land stark ausgeprĂ€gt, was ihm lauten Beifall einbrachte. Ebenso laut sind die Lacher, wenn es um Google-Bewertungen ging: nĂ€mlich fĂŒr ein Hochzeitsstudio, das laufend die Bilder retuschieren muss, um keine schlechte zu bekommen. Dabei liegt das Problem eigentlich am hĂ€sslichen Brautpaar.
Die sozialen Medien sind nicht sein Ding. FĂŒr Sieber kehrt damit das Mittelalter mit seinem Pranger zurĂŒck. AuĂerdem können dadurch in den USA âfĂŒnf zugekokste MilliardĂ€reâ Einfluss auf die PrĂ€sidentenwahl nehmen. Auch die kĂŒnstliche Intelligenz bekam in seiner Tirade ihr Fett weg. âIch kenne keine Problem, das bei Facebook gelöst wurdeâ, bekannte der Comedian.
Sein Vorschlag: eine Woche das Internet abschalten und sich endlich mal denen widmen, die die wirklichen Macher sind. Nicht die selbsterklĂ€rten starken MĂ€nner. Wobei ihm auch nicht passt, dass heute in diversen Talkshows alles ausdiskutiert werden muss. Bei seinem MĂ€nnerbashing hatte er klar die eine HĂ€lfte des Publikums krĂ€ftig auf seiner Seite, die andere musste mitlachen. Starke Menschen sind fĂŒr ihn die, die jeden Tag Elend erleben und daran nicht zerbrechen â vor allem Frauen.
03.11.24 © 2024 www.EBERBACH-CHANNEL.de / OMANO.de |