Ein kleiner Ballon löscht das Störfeuer im Vorhof
 Volles Haus: Im katholischen Pfarrheim St. Johannes Nepomuk referierte, neben Dr. Daniel Herzenstiel, dessen Schwetzinger Kollege Prof. Dr. Eberhard Scholz (rechts im Bild) über Vorhofflimmern und dessen Beseitigung. (Foto: GRN)(bro) (grn/mw) Plötzlich schlĂ€gt das Herz nicht mehr so regelmĂ€Ăig wie gewohnt. Es stolpert, holpert, setzt zeitweilig kurz aus. Angst macht sich breit, Panik. Vorhofflimmern ist die hĂ€ufigste Form von Herzrhythmusstörungen und damit eine wahre Volkskrankheit. âMehr als 1,8 Millionen Bundesbürger sind aktuell davon betroffen, Tendenz steigendâ, hob Dr. Daniel Herzenstiel, Leitender Arzt für Kardiologie und Angiologie in der GRN-Klinik Eberbach, zu Beginn seines Vortrags âWas man über Vorhofflimmern und andere Rhythmusstörungen wissen mussâ im katholischen Pfarrheim St. Johannes Nepomuk in Eberbach hervor. Die Veranstaltung fand am 14. November im Rahmen der Herzwochen statt, initiiert von der Deutschen Herzstiftung.
Dass Dr. Herzenstiel als Gastgeber und sein Schwetzinger Kollege Prof. Dr. Eberhard Scholz bei den Eberbacher Bürgern mit diesem Themenkonstrukt ins Schwarze getroffen hatten, machte die Tatsache deutlich, dass mehrere zusĂ€tzliche Stuhlreihen herbeigeschafft werden mussten, und der Pfarrsaal rĂ€umlich an seine Grenzen stieĂ.
âJeder spürt gelegentlich sein Herz stolpern. Auch wenn es sich dabei meist um harmlose ZwischenschlĂ€ge â Extrasystolen â handelt, ist zur Kontrolle ein EKG und gegebenenfalls ein Langzeit-EKG angebrachtâ, so Dr. Herzenstiel. âDavon abzugrenzen sind die eigentlichen Rhythmusstörungen. Ein typisches Beispiel einer gröĂtenteils im rechten Vorhof entstehenden Störung ist das Vorhofflatternâ. Dort komme es durch einen anhaltenden Stromkreislauf aus der Ruhe heraus zu einem regelmĂ€Ăigen Puls von 120 und 170 SchlĂ€gen pro Minute. Beim Vorhofflimmern hingegen sei der Puls vollkommen unregelmĂ€Ăig, chaotisch gar. Dr. Herzenstiel: âMan unterscheidet zwischen bradyarrhythmischem, der langsamen Form mit einem Puls unter 60 SchlĂ€gen pro Minute, welche meist bei Ă€lteren Menschen auftrete, und dem tachyarrhythmischen Vorhofflimmern mit mehr als 100 SchlĂ€gen pro Minute, meist beim ersten Auftreten oder bei jüngeren Menschen.â
Risikofaktoren, die das Vorhofflimmern begünstigten, seien neben dem Alter und dem Geschlecht â MĂ€nner seien hiervon weit hĂ€ufiger betroffen als Frauen â, so der Kardiologe, auch Diabetes, Bewegungsmangel, Nieren-, chronische Lungenerkrankungen und insbesondere jene aus dem kardiologischen Bereich. Auch Rauchen, unausgewogene ErnĂ€hrung, viel Alkohol und hohes Körpergewicht könnten das Herz aus seinem Takt bringen.
Und dennoch, so die gute Nachricht, gebe es viele Wege, das Vorhofflimmern in Schach zu halten. âHinweise auf Vorhofflimmern erhĂ€lt man durch Testen des Pulses, durch BlutdruckmessgerĂ€te oder durch die Erkennungsalgorithmen von âWearablesâ, also durch Messinstrumente wie eine Smart-Watch, die man bei sich trĂ€gtâ.
Da Vorhofflimmern oft unentdeckt bleibe, aber gravierende Gesundheitsrisiken mit sich bringen könne, sollte jeder Bürger ab 75 Jahren (in diesem Alter habe jeder Zehnte Vorhofflimmern) immer wieder einmal ein EKG machen lassen. âDie endgültige Diagnose stellt der Arzt jedoch nur, wenn in einem Zwölf-Kanal-EKG, im Langzeit-EKG oder in einer mindestens 30 Sekunden langen, die Arhythmie beweisenden Ein-Kanal-EKG das Vorhofflimmern dokumentiert istâ, führte der erfahrene Sportkardiologe aus. Hintergrund sei, dass mit der Diagnosestellung drei MaĂnahmen erforderlich seien â die Blutverdünnung, das Rhythmusmanagement und die Erkennung und Behandlung der Ursachen.
Zur Verhinderung eines Schlaganfalls müsse fast jeder Fünfte Gerinnungshemmer einnehmen. So stünden die Antikoagulanzien, die Vitamin-K-Antagonisten sowie Heparine, also Bauchspitzen, zur Verfügung. âFür ein besseres Rhythmusmanagement gibt es Medikamente und invasive Verfahren wie die Elektrokardioversion und nicht zuletzt die Katheterablation.â Als dritte SĂ€ule des Behandlungspfads müssten die Begleiterkrankungen wie Koronare Herzerkrankungen, aber auch HerzschwĂ€che sowie Erkrankungen an den Herzklappen vom Kardiologen erkannt und behandelt werden.
Bei seinem Vortrag über moderne Therapieformen legte Prof. Dr. Eberhard Scholz seinen Schwerpunkt auf die Katheterablation, eine Methode, die, in den spĂ€ten 90er-Jahren erstmalig angewandt, noch relativ jung sei. Zur Beseitigung der auslösenden Unruheherde habe man zunĂ€chst mittels Wechselstroms in der linken Vorkammer des Herzens eine Verödung durchgeführt. Prof. Dr. Scholz: âDas müssen Sie sich wie eine SchweiĂnaht vorstellen, die sich um die Einmündung der vier Lungenvenen in die linke Vorkammer des Herzens legt.â Aktuell ist die verbreitetste Methode die Ablation mittels eines KĂ€lteballons: âDieser misst lediglich knapp drei Zentimeter im Durchmesser und wird erst am Ort seiner Bestimmung mit Lachgas zu dieser GröĂe aufgepumpt. Auf diese Weise friert der Ballon bei einer Temperatur von etwa minus 50 Grad fest, sorgt für eine temporĂ€re Vereisung dieses Bereichs und bewirkt, dass die Lungenvene am Ăbergang zum linken Vorhof durch den KĂ€lteschock vernarbt.â Somit werde diese isoliert und könne fortan keine âStörfeuerâ mehr senden, das Flimmern habe ein Ende.
In einem kurzen, sehr interessanten Film sahen die über 150 GĂ€ste im Pfarrheim eindrucksvoll, wie die Pulmonalvenenisolation (PVI) genannte Prozedur in meist weniger als einer Stunde vonstattengeht.
Den überaus informativen Charakter dieses Abends rundeten das Katheter-Team sowie die kardiologischen OberĂ€rzte, Dr. Ahmed Alboji und Dr. Boris von Niessen, ab, welche mit verschiedenen Broschüren und Flyern der Deutschen Herzstiftung den Besuchern im katholischen Pfarrheim Wissenswertes in Druckform und im GesprĂ€ch mit auf den Nachhauseweg gaben.
Infos im Internet: www.grn.de/eberbach/klinik/innere-medizin/schwerpunkte/kardiologie
17.11.22
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